Die Konformität der Einzigartigkeit
Georg Simmel: »Die Mode«
Jean-Paul
2/1/2011 08:25:56 pm

Es gibt im Aufsatz von Simmel eine Passage, die ich als Paradoxon verstehe: Es handelt sich hierbei um eine soziale Tendenz, der man anscheindend nicht entgehnen kann. Selbst, wenn man sich zum Ziel setzt, eben nicht modisch gekleidet zu sein, so ist das dennoch ein Beitrag zur Konformität, eine "Nachahmung mit umgekehrtem Vorzeichen" s. 410.
Ein weiterer Schwerpunkt im Rahmen dieses Aufsatzes ist die soziale Position. Simmel erklärt, dass die Abhängigkeit der Mode bei Frauen aus ihrer Schwäche in sozialen Positionen zurückzuführen sei.

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peter
20/2/2011 11:04:30 pm

Im Vorwort wird auf die Tickle-down-Theorie hingewiesen: Das bedeutet, dass untere Schichten die Moden der oberen imitieren. Die Velben-Effekte orientieren sich ebenfalls an diesem Ansatz. Sie bedeuten demonstrativen Müßiggang, der hier einen Unterschied markiert. Velben wird auch im Vorwort vom Mode-Text genannt. Dieser von Velben durchdachte Effekt ist das Gegenteil vom ökonomischen Grenznutzenprinzip. Somit suchen demonstrative Müßiggänger primär durch dekadenten Umgang mit monetären Ressourcen eine Differenz zu anderen zu erreichen.
Im Vorwort zu Velben wird auch auch den Roman Gatsby Bezug genommen. Hier wird durch demonstrativen Umgang mit Finanzen ein Zugehörigkeitsgefühl zu den Altreichen gesucht - das klingt für mich stark nach der Etablierten-Außenseiter-Theorie.
Somit bedeutet demonstrativer Müßiggang nicht nur Darstellen von Muße durch dekadenten Umgang mit monetären Werten, sondern bedeutet - was mich ein wenig überrascht hat - auch "Arbeit".
Ökonomisch formuliert fallen in der Bemühung um ökonomischen Müßiggang Transaktionskosten an. Soziologisch gesehen bedeutet ein demonstrativer Konsum auch Schichtbewusstsein.
Wie bei Gatsby: Um bei den Altreichen Eindruck zu machen, muss er eine Reihe von Kosten aufwenden, demonstrativen Müßiggang zu veranschaulichen.
Kann diese Theorie auch als Instrument zur Erklärung einer schwindenden Mittelschicht herangezogen werden?
Was zeichnet desweiteren eine Mittelschicht aus? Kann demonstrativer Müßiggang als Kriterium der Abgrenzung herangezogen werden bzw. sind diese Effekte angemessen, aktuelle Verhältnisse zu erklären?
Im Vorwort zu Simmels Mode werden Gegenstimmen genannt - so zum Beispiel zum Verhältnis Mode und Subgruppen.
Ein Beispiel wäre die Punk-Mode, die auch von "relativ" wohlhabenden Jugendlichen getragen wird. Kleider machen zwar Leute, können aber keinen genauen Rückschluss auf demonstrative Muße geben.
Wenn Moden zyklisch organisiert sind, dann müsste doch auch der Dandy bald wieder kommen? Sind die Kriterien des Dandy heute noch aktuell? Wer würde heute als Dandy gelten können - anhand der bekannten Kriterien?
Wenn ich das richtig verstanden habe, kann der Dandy doch nicht komplett als Phänomen der Mode verstanden werden, sondern primär als politisches Phänomen. Wenn er durch seine zur Schau gestellte Dekadenz - Velben? - der Gesellschaft kritisch gegenübersteht - so z.B. dem Kapitalismus - dann kann man das doch nicht als modisch, sondern als politisch engagiert ansehen?
Vielleicht ist das zu weit hergeholt oder einfach falsch?

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monica_titton
28/2/2011 12:51:10 am

@ peter: Der Dandy ist eine soziale Erscheinung der Mode, die immer wieder kehrt, aber nur hin und wieder zum Trend propagiert wird, daher nicht sehr sichtbar ist. In diesem Sinne: Ja, der Dandy ist wieder gekommen, er war aber auch nie wirklich weg (schon seit Simmels Zeiten nicht!).
(Der amerikanische Schriftsteller Tom Wolfe gibt sich zum Beispiel als Dandy. Karl Lagerfeld ist meines Erachtens auch einer.)

Die moderne Modesoziologie trifft eine wichtige Unterscheidung, die weder Veblen noch Simmel getroffen haben - sie trennt die Verbreitung von modischen Innovationen von dem Zusammenhang zwischen Mode und Schicht.
Auf die Punk-Mode angewandt, würde das bedeuten, dass man zwar anerkennt, dass die modisch neuen Elemente dieses modischen Stils aus der Punk-Szene der späten 1970er Jahre gekommen sind, es aber in einem zweiten Moment der Mediationsleistung (wie dies der französische Soziologie F. Monneyron nennt) der Designer bedurfte, um die Looks von der Straße in Modelle zu "übersetzen", die erst dann auch für Leute tragbar wurden, die mit den ideologischen Inhalten der Punk-Bewegung nichts anfangen können.

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christian_von_scheve
28/2/2011 03:55:36 am

@peter: Zur Erklärung schwindender Mittelschichten scheint mir der demonstrative Konsum eher weniger geeignet. Das Schrumpfen der Mittelschichten erklärt sich vor allem aus verschärften Einkommensungleichheiten. Der demonstrative Konsum kann aber sicher auch heute als Kriterium der Abgrenzung (bzw. des Versuchs der Abgrenzung) herangezogen werden; im einleitenden Text zu Veblen finden sich einige Beispiele dazu.

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arte_fernschauer
6/3/2011 04:59:54 pm

Zurzeit strahlt der Fernsehveranstalter "arte" eine Reihe namens Fashion Week aus.
Dort waren im Laufe der letzten Tage Dokumentationen über Karl Lagerfeld, Diane von Fürstenb., Vivenne Westwood etc. zu sehen.
Ich finde es interessant - zumal man den Text von Simmel gelesen hat - , da man bereits gehörtes einbauen bzw. verbinden kann.
Da bleibt nur noch eines zu sagen:
Viel Spass beim Fernsehen!

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peter
8/3/2011 02:57:03 am

@christian_von_scheve: Das mit den verschärften Einkommensungleichheiten klingt an sich logisch. Gibt es da eine Theorie, die sich speziell mit diesem Phänomen beschäftigt. Mir persönlich kommt da auch der "Matthäus-Effekt in der Wissenschaft" in den Sinn. Kann diese Theorie auch auf das ökonomische System umgewälzt werden? An sich ist es ja da genau dasselbe. Die Reichen werden reicher, die Armen ärmer. Anders ausgedrückt: Der Teufel sch.. immer auf den größten Haufen. Oder mit Matthäus: "Wer hat den wird ... wer nicht hat, dem wird das, was er hat, genommen".

@monica_titton: Danke für die Antwort - das gilt auch für Herrn von Scheve.
Der Punk war ja ursprünglich eine politische Einstellung. Ist es nicht - vor allem für die "echten" Punks - ziemlich bitter, wenn ihr politisches Statement, ihre Kritik an den gesellschaftlichen Verhältnissen plötzlich - durch z.B. Modeschöpfer - in eine "Bagatelle" modifiziert wird? Nicht zuletzt zeichnet sich dieses textile Statement auch dadurch aus, bewusst eine Abgrenzung zu schaffen. Diese Abgrenzung zeichnet sich ja nicht nur durch die Kleidung per se, sonder auch durch die Entscheidung, diese z.B. nicht zu waschen aus.
Lehnt sich dieser Mechanismus denn nicht auch an den Tickle-down-Gedanken an - indem sich politisch unintressierte Kids durch Nachahmung Individualität versprechen suchen die "Puristen" Wege, ihrem Punk-Dasein durch Abgrenzung neue Nahrung zu verschaffen.
Vielleicht sind meine Gedankengänge zu weit hergeholt. Vielleicht hat Lagerfeld Recht, wenn er sagt, dass man der Mode nicht entkomme. Wie denken Sie darüber?
Danken Sie als Soziologin mit Schwerpunkt Mode das diese eine Kunstform ist bzw. was Kunst in der Mode auszeichnet? Worin liegt eigentlich der Unterschied, Mode z.B. an der Angewandten oder in der Herbststraße zu studieren? Hanelt es sich hier um den Zugang zu Kreativität - sind Kunststudent/innen kreativer?
Sind die Auswahlkriterien an der Angewandten adequate Parameter, Begabungen zu erkennen? Was qualifiziert diese Menschen - Fehlentscheidungen können getroffen werden?



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23/6/2013 07:34:45 pm

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25/10/2018 03:01:08 pm

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